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Reportagen

Kinder machen Zirkus

Spektakuläre Show: Alljährlich lädt der hannoversche Kinderzirkus Giovanni ein, um das Publikum zu begeistern.

Kaum öffnet sich im Zirkuszelt der Vorhang, leuchten die Augen der Zuschauer.Von den fantastischen Darbietungen sind Kinder wie Erwachsene fasziniert. Kommen Sie, staunen Sie und werfen Sie mit uns einen Blick hinter die Kulissen!

Auf der Wiese rund um das Zirkuszelt in Wettbergen herrscht geschäftiges Treiben. Neben den herumlaufenden Hühnern bestücken die Mütter in der Mittagssonne das Buffet mit selbst gemachten Köstlichkeiten. Die Väter bauen gerade ein Equipment- Zelt auf. Ein Kind ruft: „Ich habe ein Einrad gefunden!", ein anderes: „Wo ist mein Hut?".

Hereinspaziert, hereinspaziert ... im dunklen Zirkuszelt stimmt die Kapelle hinten in der Ecke die ersten Klänge an. Das Scheinwerferlicht strahlt auf den roten Vorhang, der sich langsam öffnet. Begleitet von Trompeten, Saxophonen, Bass, Klavier und Schlagzeug spazieren die in Glitzerkostümen gekleideten Akrobaten in die Manege. Kunstvoll hängen sie sich an Deckenseile. Stelzenläufer und weitere kostümierte Kinder und Jugendliche folgen. Jedes trägt ein großes Buchstabenschild. Nebeneinander ergeben sie den Schriftzug „Giovanni 39". Der Kinderzirkus ist in diesem Jahr schließlich 39 Jahre alt. „Madame et Monsieur, Ladies and Gentleman, meine Damen und Herren, liebe Kinder: Manege frei für den Kinderzirkus Giovanniiii!"

Durchhalten und dranbleiben

Seit Monaten trainieren die rund 30 Kinder und Jugendlichen für ihre großen Auftritte. Jonglieren, Feuerspucken, Akrobatik, Clownerie ... an jedem Freitag und Samstag und jetzt, kurz vor der Sommersaison, auch an den Sonntagen. „Verlässlichkeit ist eine wichtige Voraussetzung, um im Kinderzirkus mitzumachen", erklärt die Leiterin Nina Weger. „Heute habe ich mal Lust, morgen nicht; das geht bei uns genauso wenig wie beim Mannschaftssport."

Auch die Eltern unterstützen tatkräftig. Vor den Liveshows mit rund 330 Zuschauern haben alle ihre Aufgabe: Popcorn machen, die Kinder schminken, Kostüme anziehen, die Technik aufbauen ... Alle Mitwirkenden arbeiten ehrenamtlich. Deshalb kann sich der Zirkus finanziell selbst tragen – bei durchaus moderaten Eintrittspreisen von 5 Euro für Kinder und 10 Euro für Erwachsene.

In jeder Saison hat die Show ein Thema. In diesem Jahr: „Die Reise ist das Ziel". Neben dem klassischen Programm machen sich die Giovanni-Artisten mit wundersamen Gefährten auf den Weg. Da fährt plötzlich ein Sessel durch die Manege, gefolgt von einem Klo auf Rädern. Ein Koffer saust hinterher und – mit aller Ruhe – eine Schnecke. „Wir haben uns mit nachhaltiger Mobilität auseinandergesetzt", erklärt Weger. Die Gefährten seien allesamt mit Akkubohrern oder ausrangierten Rasenmäher- Motoren betrieben. In ihrem ganz eigenen Tempo bewegen sie sich durch die Wunderwelt der Seiltänzer und Schlangenmenschen, Akrobaten und Feuerspucker.

Hand in Hand

Allen Kindern, ganz gleich ob Neuling oder Profi, werde ein individueller Rahmen geboten, um sich auszuprobieren und sich optimal zu entfalten. „Jeder hat ein Talent und kann irgendwas gut", sagt die engagierte Leiterin. Es gehe aber nicht darum, dass die Kinder durch Perfektion glänzen, sondern darum, das soziale Miteinander in der Gruppe zu fördern. Aktuell sind sieben Nationalitäten aus verschiedenen Stadtteilen im Zirkus vertreten: „Für mich ist der Zirkus das Glück, zu sehen, dass Menschen unterschiedlicher Art und Herkunft friedlich, kreativ und produktiv zusammenarbeiten, und dass wir diese positive Erfahrung im sozialen Miteinander auch den Kindern vermitteln können."

Eine Mutter kommt herein und ruft: „Die Einräder sind nun angezogen!" Weger sagt: „Jetzt dürfen sich aber alle erst mal noch ein Krönchen aufsetzen." Nachdem sich die Mädchen in ihren wunderschönen Kleidern auch ihr Haupt verziert haben, geht es los: In einer hochanspruchsvollen Choreografie fahren sie mit ihren Einrädern durch die Manege. „Linke Hand, rechte Hand", leitet Weger die Mädchen an. Volle Konzentration.

 Vor Publikum etwas zu wagen, was immer schiefgehen kann, erfordert Mut. „Ich glaube aber, sich einfach auszutesten ist eine Riesenchance für die Kinder", so Weger. In Stresssituationen beruhigen die älteren Kinder die Jüngeren oder Neuen, indem sie sagen: „Du musst überhaupt keine Angst haben, etwas falsch zu machen, weil die Zuschauer ja gar nicht wissen, wie es richtig ist."

Starker Zusammenhalt

Die Mutter zweier Kinder weiß, wovon sie spricht. Als ihr Vater, Bert Schwarz, 1984 den Kinderzirkus Giovanni gründete, war sie selbst gerade einmal 13 Jahre alt. „Mein Vater war Pastor in der evangelischen Kirchengemeinde Wettbergen und sehr engagiert in der Kinder- und Jugendarbeit." Er organisierte alte Bauwagen, die er mit den Interessierten zu Zirkuswagen umbaute. „Wir traten in ganz Deutschland und in TV-Shows auf. So was gab es hierzulande noch nicht." Viele der damals Beteiligten unterstützen den Zirkus bis heute. Nachdem Schwarz in Pension gegangen war, fand sich zuächst keine Nachfolge. Nina Wegers Schwester hatte längst eine Zirkusausbildung in Paris absolviert und begeistert bis heute in internationalen Manegen. Weger selbst war zunächst zwar Artistin im Circus Belly, besann sich dann aber doch auf ihre zweite Leidenschaft: das Schreiben. Sie hatte ein Volontariat in der Tasche, arbeitete in Berlin und Hamburg als Autorin für TV-Produktionen und schrieb Drehbücher, als sie nach der Geburt ihrer Tochter zurück nach Hannover zog. Im Jahr 2000 übernahm die heute erfolgreiche Kinderbuchautorin „nebenbei" die künstlerische Leitung vom Kinderzirkus Giovanni. 2018 kam ein weiteres Herzensprojekt hinzu: Salto Wortale. Das bundesweit einzigartige Kinderliteraturfestival findet ebenfalls alljährlich im Sommer im Zirkuszelt auf dem Gelände neben dem Neuen Rathaus statt und wurde gerade mit dem ersten Platz beim Deutschen Lesepreis ausgezeichnet.

2018, das war auch das Jahr, in dem Antje Spatzl den Platz an Wegers Seite beim Kinderzirkus übernahm: „Wir haben immer eine Doppelspitze. Es ist gut, den Kindern eine Teamstruktur vorzuleben", findet Weger. Als Mutter von zwei Zirkuskindern war Spatzl von Anfang an Feuer und Flamme: „Nina ist der Kreativ-, ich bin der Orgakopf. Während bei Nina die Ideen für die Vorstellungen sprudeln, organisiere ich Kostüme, Eltern und Kinderlisten." Sie genieße es, hier die Wochenenden als Familie zu verbringen, ohne die ganze Zeit zusammenzuhängen. „Ich finde es außerdem großartig, mitzuerleben, wie das Selbstwertgefühl der Kinder wächst. Sie fangen schüchtern an und präsentieren sich nach einiger Zeit wie Profis in der Manege. Man investiert viel Zeit, aber bekommt auch wahnsinnig viel zurück." Viele der rund 70 Kinder, Eltern und Helfer treffen sich auch außerhalb des Zirkus. „Das ist wirklich ein starker Zusammenhalt. Das sind Freundschaften fürs Leben." Einmal im Jahr tritt der Zirkus in Grömitz auf. Und: Der Förderverein Kinderzirkus Giovanni e.V. und Giovanni por un Cambio e.V. unterstützen seit 2019 Projekte auf Kuba – unter anderem den Zirkus Angeles del Futuro. Durch Spendeneinnahmen und Förderungen organisierte Initiatorin Weger bereits einen Austausch mit etwa 20 Kindern und Jugendlichen.

Magische Momente

Zurück im Zirkuszelt schieben zwei Jungs mit orientalischer Pumphose und Turban gerade eine große schwarze Kiste in die Manege. Zwei kleine Kinder steigen hinein. Die Jungs präsentieren die Echtheit ihrer Säbel, die sie im nächsten Moment von allen Seiten in die Kiste bohren. Das Orchester lässt die Spannung steigen. Am Eingang kreiert die Technik wunderschöne Lichtspiele im Zelt. Allen stockt der Atem. Plötzlich springt die Kiste auf. Die beiden Kinder hüpfen unversehrt und fröhlich heraus. Die Probenzuschauer lachen erleichtert und klatschen. Einer der Akteure ist Oskar: „Es ist cool, hier mit den anderen Zirkus zu machen", sagt der 8-Jährige später. Die 13-jährige Sofia ist Luftakrobatin, Einradfahrerin und Feuerspuckerin. Seit vier Jahren sei sie jetzt dabei. Der Zirkus bedeute ihr viel: „Wir sind alle befreundet, wir sind wie eine große Familie." Die Luftakrobatin und Einradfahrerin Johanna (11) macht seit fünf Jahren mit: „Am schönsten finde ich, dass wir hier alle zusammen sind und keiner alleine ist." Ein wahres Urgestein ist der 13 Jahre alte Carlo, der den Zirkus seit 11 Jahren kennt: „Ich spiele Diabolo, also zwei Stäbe mit Schnur, und bin Artist. Das Training ist anstrengend, aber es macht riesigen Spaß, mit den anderen in der Manege zu stehen und am Ende zu erleben, was wir hier alle gemeinsam Tolles geschafft haben." Dem können wir nur zustimmen: Applaus, Applaus und einen großen Dank für die schöne Reise in diese zauberhafte Welt!

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