zurück
Reportagen

Slow Fashion ist eine Lebenseinstellung

Mode. Klima. Punk. Wenn Welten aufeinandertreffen, herrscht Chaos? Manchmal braucht es gezielte Provokation, um Prozesse ganz neu einzufädeln. Martina Glomb hat einen Weg gefunden, Mode neu zu denken, dem Klima nachhaltig etwas Gutes zu tun und sich in ihrem Schaffen immer treu zu bleiben. Sie ist Professorin für Modedesign an der Hochschule Hannover. Expertin für Slow Fashion. Und eine faszinierende Frau, die sich durch den Punk verwirklicht hat.

Ein Strickoberteil mit großen Pflegehinweissymbolen auf dem Rücken, eine wollene Leggings mit Burlington-Einsätzen, ein Selfmade-Pulli mit psychedelischem Muster in Blau, Lila, Rot, Martina Glomb zieht an, was ihr gefällt, und das aus tiefer Überzeugung: „Auf keinen Fall Trends folgen!", deutlicher geht es nicht. Die international anerkannte Modeschöpferin geht lachend, singend, tanzend und glücklich durchs Leben und vergleicht sich niemals mit anderen. Außerdem strickt sie jeden Tag. Stricken ist eine „langsame, wertschätzende Herstellung von Textilien, ist also phänomenal und pures Modeschöpfen". Ihre Philosophie, weniger Kleidung zu kaufen (oder gar nicht), gut auszuwählen, sie lange zu tragen, zu pflegen, zu reparieren, zu upcyceln, lebt sie zu 100 Prozent, dieser Anspruch fließt wie ein roter Faden in ihre Arbeit mit ein.

Ums Stricken ging es auch bei ihrer Ausstellung „Use-less – Slow Fashion gegen Verschwendung und hässliche Kleidung" im Museum August Kestner. „Slow Fashion ist kein Projekt, sondern eine Lebenseinstellung", umschreibt Martina Glomb die Nachhaltigkeitsoffensive, die 2015 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung in Auftrag gegeben wurde. Die Hochschule Hannover ist eins von vier Instituten, die drei Jahre lang forschten, ausprobierten, experimentierten. Die ausgestellten Ergebnisse bieten jede Menge Diskussions-Stoff. „Es geht darum, Materialien unter fairen Arbeitsbedingungen ressourcenschonend zu produzieren, ohne dass Menschen und Tiere zu Schaden kommen. Die Lebensphase von Textilien gilt es zu verlängern, um sie länger im textilen Kreislauf zu halten, sie überhaupt erst kreislauffähig zu machen", erklärt Glomb, die schon immer so gearbeitet hat, aber damals noch nicht Slow Fashion nannte. Auch wenn die Wanderausstellung ihre Zelte in Hannover abgebaut hat, behält das Thema große Relevanz, die weit über die niedersächsischen Grenzen hinausgeht, sogar weltklimaweit.

„Es ist schon ein Fortschritt, dass das Nischenthema Nachhaltigkeit in der Textilwirtschaft endlich Anerkennung bekommt", das fordere auch die Designer heraus, die bei jeder Entscheidung ganzheitlich unterwegs sein müssen. „Eine große Verantwortung", erklärt Glomb die Arbeitsweise von Designern, die dazu beitragen, Veränderungen anzuschieben. Zum Beispiel hiermit: Sie verwenden hochwertige Schafwolle aus der Region sowie nachwachsende Rohstoffe. Den Gedanken der Kreislauffähigkeit weben sie von Anfang an mit ein, z. B. mit neuen biologisch abbaubaren Materialien. Sie produzieren nach dem Zero-Waste-Prinzip. Und verwerten getragene Kleidung. 

„In unseren Schränken hängen 60 Prozent ungetragene Kleidungsstücke, davon landen rund 50 Prozent in der Altkleidersammlung, teilweise werden die Sachen verbrannt."

Ein fassungsloses Raunen erfüllt den Ausstellungsraum, wenn Glomb uns unsere Mitverantwortung spiegelt. Ausrangierte oder unverkaufte Fast Fashion, die durch ihre Schadstoffe nicht biologisch abbaubar ist, das macht sie zu hässlicher Kleidung, wird in die Atacama-Wüste in Chile geschüttet, zigtausend Tonnen jährlich. „Das muss sich ändern!" Ja, der Schrei nach Veränderung kann gar nicht laut genug sein, das steht wohl außer Frage. Und jeder von uns könne dazu beitragen, diese Art der Verschwendung und Umweltbelastung zu reduzieren, davon ist nicht nur Glomb überzeugt, die verschmitzt durch ihre große Brille in die Runde blickt. „Aus alter, getragener Kleidung ein individuelles neues Outfit zu kreieren, zeigt den respektvollen Umgang mit unseren wertvollen Textilien. Upcycling ist untrennbar vom Denken und Handeln im Studiengang Modedesign." Diese Wertschätzung liegt der Professorin besonders am Herzen. „Upcycling mit Niveau ist Couture!", sie selbst trägt fast ausschließlich Kleidung, die ihre Studenten phantasievoll wiederverwertet haben.

„Lost Projects in dirty Socks" nennt sie ihren psychedelisch anmutenden Pulli, den sie aus Wollresten der Altkleidersammlung, aus unvollendeten Strickobjekten und alten Wollsocken selbst gestrickt hat. „Der Pulli ist voll Panne!", sagt sie, aber die Leute fragen sie oft, ob er von Vivienne Westwood sei und das amüsiere sie. Für sie ist der Sockenpulli so heilig wie die Designerstücke aus ihrer Londoner Haute-Couture-Zeit, die sie bei der rebellischen Modeschöpferin Westwood verbracht hat, weil sie aus einem alten Nichts etwas Neues geschaffen hat.


 

Wildes London – fantastisches Hannover

Vivienne Westwood & Martina Glomb verbindet eine intensive Freundschaft.

Martina Glombs Weg in die glitzernde Modewelt ist von Bodenständigkeit geprägt. Sie liebt den Geruch von Wolle und Rosshaar. Er erinnert sie an ihren Vater, er war Schneidermeister und dämpfte häufig Anzüge, während sie in seiner Flickenkiste wühlte. 1969 starben ihre Eltern, sie war gerade neun Jahre jung. So lernte sie früh, diszipliniert die Dinge im Leben anzupacken. In ihrer Heimatstadt Bremen machte sie eine Schneiderlehre in einem der damals letzten Couture-Betriebe Deutschlands und studierte Modedesign. Es zog sie in die Modemetropole London, direkt zu Vivienne Westwood. Es waren „wilde Zeiten mit viel Nightlife, Clubs, Subkultur und ganz, ganz viel Arbeit", erinnert sie sich lachend. Sie hat „den Laden geputzt und sehr viel genäht", bevor sie zwölf Jahre lang als Chef-Designerin bei der Punk-Mode-Ikone Westwood arbeitete. Extrem arbeitsreiche Jahre, aber auch heute noch sind 60–80 Stunden in der Woche üblich. Glomb war selbst Punk. Sie genießt es einfach, konsequent das Gegenteil von der großen Allgemeinheit auszuleben. „Provokation ist immer noch ein Teil meiner Design-Philosophie" und das erfordere höchste Disziplin. Woher ihre Inspirationen kommen? Aus einer soliden Basis von Kunst- und Kulturgeschichte, Natur, Farben, Musik, Stimmen ... aber nicht aus Einkaufspassagen und Fußgängerzonen.

Neben London stehen Hamburg, Italien, Jamaika und Taiwan in ihrer Vita. Ein spannender Mix, aber Hannover ist „tatsächlich die beste Entscheidung ever", sprudelt sie begeistert über. „Hannover ist liberal, stark, offen für Ideen und setzt diese auch um! Hier war in Sachen Mode Niemandsland, ich konnte machen, was ich wollte, wie fantastisch!" Seit 17 Jahren unterrichtet die Professorin an der HsH Modedesign, hier befindet sich auch das USE-LESS Zentrum für nachhaltige Designstrategien. 

USELESS-AUSSTELLUNG.DE 

Instagram: @INSTAGLOMB


Geliebte Natur – unendliches Vorbild

Martina Glomb lebt in der Nähe von Worpswede in einem winzig kleinen, jahrhundertealten Moorhaus am Ende eines ausgehauenen Feldwegs; der Briefkasten ist weit weg. Liebevoll eingerichtet mit Use-less-Möbeln, vieles vom Flohmarkt. Drumherum Natur. Inspirationsquelle. Glücksgefühle.

Auf dem Weg nach Hause ruft sie ihren Mann an: „Mach die Pforte auf", und schon läuft ihr großer Hund „Wespe" ihr entgegen und freut sich auf die Runde durch die stillgelegte Baumschule. Diesen alten Weg, der sich immer wieder selbst upcycelt, gehen sie sicher tausend Mal im Jahr. „Er verändert sich jedes Mal zu etwas Neuem, schöner geht es nicht."

Heizung aus, Pulli an

Mit der Aktion „Heizung aus, Pulli an" haben Modedesign-Studenten auf die Klimakrise, Umweltverschmutzung und Ressourcenverschwendung aufmerksam gemacht. Martina Glomb hatte hierfür 2021 eine „selbst gestrickte" Modenschau mit Upcycling-Pullovern vor dem Neuen Rathaus auf die Beine gestellt, die Idee für diese Klimaschutzaktion stammt aus Belgien. Und es ging weiter: Anfang Februar dieses Jahres war wieder internationaler „Dicker-Pulli-Tag". Auf dem Trammplatz konnte jeder teilnehmen, der (s)ein Zeichen setzen wollte. „Die Menschen sollen motiviert werden, selber aktiv zu werden, alte Pullis aufzuhübschen und natürlich auch weniger Energie zu verschwenden", berichtet Glomb, die sich schon auf die nächste Aktion in 2023 freut.

Ein Grad weniger Raumtemperatur = rund sechs Prozent Energieeinsparung = weniger CO2-Ausstoß.

Weitere Inhalte, die Sie interessieren könnten:

Aktuelles: Übersicht